Einführung
Rentenfalle durch Startgutschrift? Was sich wie ein
Widerspruch anhört, ist leider für viele Betroffene bittere
Wahrheit. Das Wort „Startgutschrift“ ist eher ein
Etikettenschwindel. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um
drastisch reduzierte und weitestgehend festgeschriebene
Rentenanwartschaften zum 31.12.2001.
Diese Rentenanwartschaften erhöhen sich praktisch nicht, da
die versprochenen Bonuspunkte fast völlig ausbleiben. Viel schlimmer
sind die finanziellen Folgen für Rentenferne (ab Jahrgang 1947),
denen die Garantierente beharrlich verweigert wird.
Besondere Härtefälle liegen bei sowohl bei Rentenfernen als
auch bei Rentennahen (bis Jahrgang 1946) vor, die zum 31.12.2001
verwitwet oder geschieden waren, aber inzwischen längst wieder
verheiratet sind und zum Rentenbeginn höchstwahrscheinlich auch
verheiratet sein werden oder bereits sind.
Mit der
vorliegenden Homepage wollen wir Sie Stück für Stück in die
komplizierten und höchst ungerechten Regelungen über die sog.
Startgutschriften einführen.
Wir haben uns
bereits zuvor bewusst wertend und pointiert gewidmet dem
großen Irrtum des Bundesgerichtshofs, der Versorgungsanstalt
des Bundes und der Länder wie auch der Tarifparteien nach der
Devise: „Den Kleinen nimmt man, den Großen gibt man noch mehr“.
In der <Einführung> erläutern wir die Rentenfalle, in die
viele Betroffene ohne eigene Schuld getappt sind und beschreiben das
sich daraus ergebende Politikum.
<Offene Briefe>, die so den Entscheidungsträgern (Tarifparteien,
Bundes- und Länderministerien u.a.) zugesandt wurden, finden Sie
danach.
Die <Dossiers> „Rentenabsurdistan“ und
„Im Stich gelassen von Verdi“ hat Friedmar Fischer verfasst
als einer der zahlreichen Kläger vor Landgerichten,
Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof. Das Dossier
"Die Fehler des Gesetzgebers"
wurde gemeinsam erarbeitet und
das
Dossier „Der lange Arm der VBL“
stammt von Werner Siepe, Fachautor, jedoch selbst nicht von
der Rentenfalle Startgutschrift betroffen.
Schließlich finden sich auf dieser Homepage Hinweise auf im
Internet veröffentlichte <Essays> und <Studien>, an
denen wir beteiligt sind. Unsere fast zweijährige, hervorragende
Zusammenarbeit wird hoffentlich künftig noch Früchte tragen. Dies
wünschen wir allen von der Rentenfalle betroffenen rentenfernen und
-nahen Pflichtversicherten der Zusatzversorgung des Öffentlichen
Dienstes. Eine Übersicht über wesentliche <Urteile> und
einige <Presse- und Fachartikel> runden die Inhalte dieser
Homepage ab.
Die fast sechs Jahre lang andauernde Beschäftigung mit dem Thema
Startgutschrift (als Betroffener) und die vor zwei Jahren begonnene
hervorragende Zusammenarbeit mit anderen Betroffenen sowie dem
Fachautor Werner Siepe (als einem nicht Betroffenen) hat zu einer
losen Arbeitgemeinschaft geführt (der „Startgutschriften-ARGE“) und
mich bewogen, einige Aktivitäten an einer zentralen Stelle
zusammenzutragen und hier zu veröffentlichen. Die wesentlichen
Inhalte dieser vorliegenden Homepage sind jedoch in Kurz- und
Langfassung auch jeweils in einem
einzigen PDF-Dokument als Streitschrift im Abschnitt
<Dossiers> zusammengefasst.
Der Veröffentlichungszeitpunkt für diese Streitschrift ist
nicht ganz zufällig gewählt:
Am 13.11.2001 (also vor sieben Jahren) verständigten sich
die Tarifparteien im Altersvorsorgetarifvertrag auf eine Reform der
Zusatzversorgung im Öffentlichen Dienst.
Am 14.11.2007 (also vor einem Jahr) erklärte der IV.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Festlegung der bisher
erfolgten Startgutschriften für Rentenferne wegen eines Verstoßes
gegen den Gleichheitssatz laut Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz für
unverbindlich und forderte die Tarifparteien zu einer Neuregelung
auf.
Ohne viele fruchtbaren Diskussionen und den Austausch von
Argumenten, Dokumenten wäre Vieles im Dunkel und Dickicht der
Regelungen der Zusatzversorgung des Öffentlichen Dienstes geblieben.
Unser besonderer Dank gilt den Mitstreitern Jürgen Bühr, Siegfried
Ecklebe, Dieter Grüner, Dr. Frank Horsch, Gerhard Wohner für ihre unermüdliche Zuarbeit, ihre
konstruktive Kritik, ihr Mutmachen.
Alle Informationen in dieser Schrift wurden so sorgfältig wie
möglich recherchiert und geprüft. Es können sich jedoch aus
Aktualitätsgründen Änderungen ergeben, und selbst Fehler sind nicht
mit Sicherheit auszuschließen.
Wiernsheim und
Erkrath, 14.11.2008
Dr. Friedmar
Fischer, Werner Siepe
Vorgeschichte
und aktueller Stand
Arbeitnehmer im
öffentlichen Dienst haben nach dem zurzeit noch geltenden
Altersvorsorgetarifvertrag eine Rentenanwartschaft zum Stichtag
31.12.2001 (sog. Startgutschrift) erhalten. Diese Startgutschriften
für rund 5 Millionen Betroffene sind seit 6 Jahren heftig
umstritten. Allein bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der
Länder (VBL), der größten Zusatzversorgungseinrichtung, haben
rund 220.000 rentenferne Pflichtversicherte (ab Jahrgang 1947) die
Startgutschrift beanstandet. Rund 2.000 Rentenferne der VBL haben
vor den ordentlichen Gerichten geklagt und über 200 Revisionsklagen
waren beim Bundesgerichtshof (BGH) anhängig. Der BGH hat in
seinem Urteil vom 14.11.2007 die Startgutschriften für
Rentenferne für unverbindlich erklärt und die Tarifparteien
zu einer Neuregelung aufgefordert. Parallel dazu wurden beim
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Verfassungsbeschwerden
eingereicht, die den Tarifparteien vom BVerfG zur Stellungnahme bis
zum 15.9.2008 weitergeleitet wurden.
Halbierte
Renten
Hauptverlierer
unter den Rentenfernen sind alleinstehende, langdienende Normal-
und Höherverdiener. Sie verlieren bis zur Hälfte der früheren
Garantierente (siehe Offener Brief an die Tarifparteien „Geplatzte
Rentengarantien“). Bis zur Hälfte der Rentenanwartschaften
verlieren auch ehemals Alleinstehende, die am 31.12.2001 verwitwet
oder geschieden waren und längst wieder verheiratet sind. Sie
geraten in die berüchtigte Silvesterfalle, die ihren
Niederschlag im sog. Fallenstellerparagrafen 18 des
Betriebsrentengesetzes findet. Zu diesen Verlierern zählen neben den
Rentenfernen (ab Jahrgang 1947) auch Rentennahe der Jahrgänge bis
1946 (siehe Offener Brief „Besondere Härtefälle“). Zudem
werden Rentenferne wie Rentennahe durch eine faktisch fehlende
Dynamisierung der Startgutschriften benachteiligt (siehe Offener
Brief „Dynamisierung“). Kein anderes Alterssicherungssystem
in Deutschland kennt solche völlig absurden und für die Betroffenen
verlustreichen Folgen.
Siehe dazu auch die zwei Studien:
„Halbierte Zusatzrenten“ und
„Der Fallenstellerparagraf“ (www.startgutschriften-arge.de,
Button „Studien“)
Betroffene
Die von der
absurden Regelung der Rentenanwartschaften betroffenen rund 5
Millionen Beschäftigten sind entweder bei der VBL oder bei anderen
Zusatzversorgungskassen wie z.B. der Bayerischen Versorgungskammer
pflichtversichert. Sie heißen im Rentenjargon „rentennahe bzw.
rentenferne Pflichtversicherte“, je nachdem sie am 1.1.2002 das 55.
Lebensjahr bereits vollendet hatten oder noch nicht.
Gegner
Mit Händen und
Füßen wehren sich die Entscheidungsträger (Tarifparteien, VBL und
andere Zusatzversorgungskassen) gegen die Wiedereinführung der
Garantierente und die höhere Zusatzrente für ehemals Verwitwete oder
Geschiedene, die zum Rentenbeginn verheiratet sind.
Rentensystematische Gründe werden von den Gegnern einer fairen und
gerechten Neuregelung nicht ins Feld geführt. Es zählen offenbar
allein Gründe der Ausgabensenkung. Leider haben auch die
Richter an den Landgerichten bzw. den Oberlandesgerichten und am BGH
die von den Tarifparteien aufgestellte Rentenfalle weitestgehend
abgesegnet. Sie haben sich in den komplizierten Berechnungsformeln
teilweise völlig verirrt („justitia non calculat“).
Kernproblem
Im Vordergrund
des langjährigen Streits zwischen Betroffenen und ihren Gegnern
steht die Frage der Rentengarantien. Nach den bisherigen
extrem ungerechten Regelungen platzt die frühere Garantierente
für Rentenferne. Auch die früher garantierte höhere Zusatzrente
für Verheiratete ab Rentenbeginn wird den Betroffenen
verweigert. Der BGH nennt dies „Festschreibeeffekt“ bzw.
„Veränderungssperre“, da nur der Familienstand zum Stichtag
31.12.2001 gelten soll.
Lösung
Die Lösung des
Kernproblems ist denkbar einfach. Zwei zusätzliche Sätze im
Altersvorsorgetarifvertrag und in den Satzungen der
Zusatzversorgungskassen würden die Rentengarantien wiederherstellen.
Die Betroffenen fordern daher genau diese Lösung, also die
Wiedereinführung der Garantierente für Rentenferne sowie die
höhere Zusatzrente für zum Rentenbeginn Verheiratete, die zum
Stichtag 31.12.2001 verwitwet oder geschieden waren. Außerdem
fordern sie eine angemessene Dynamisierung der Startgutschriften
um mindestens 1 Prozent pro Jahr.
Politikum
Offensichtlich
ist die Verweigerung der Rentengarantien mittlerweile ein Politikum.
-
Der
Gesetzgeber hat und eine Schlechterstellung verabschiedet, die
im Widerspruch zur Gesetzesbegründung steht. Seinen Fehler beim
neuen Fallenstellerparagrafen 18 kann der Gesetzgeber jederzeit
korrigieren, ohne das BVerfG-Urteil abzuwarten (siehe Dossier
"Fehler des Gesetzgebers").
-
Die
Bundesministerien des Inneren (BMI) war federführend für den Gesetzentwurf und hat den neuen § 18 mit unterzeichnet (siehe
Dossier
„Fehler des Gesetzgebers“).
-
Die VBL hat
auf § 18 zur Berechnung der Startgutschriften für Rentenferne
hingewiesen und damit die Fehlentscheidung der Tarifparteien im
November 2001 entscheidend beeinflusst (siehe Dossier
"Der lange Arm der VBL“).
-
Die
Tarifparteien (insbesondere Verdi) haben im November 2001 eine
Fehlentscheidung getroffen, die sie wider besseres Wissen
bis heute nicht ändern wollen (siehe Dossier
"Im Stich gelassen von Verdi").
-
Die Gerichte
(jedoch noch nicht das Bundesverfassungsgericht) haben nicht
erkennen wollen oder können, was wirklich faul an
den Startgutschriften für Rentenferne ist (siehe Dossier
"Rentenabsurdistan bei der Zusatzversorgung" mit deutlicher
Kritik an den Entscheidungen des LG/OLG Karlsruhe, des BGH und
des Bundesarbeitsgerichts).
Wesentliche Verantwortung an dem Debakel um die neue
Zusatzversorgung verbleibt jedoch bei den Tarifparteien und hier
kann man - auf fünf Punkte reduziert - deutlich eine subjektive
kritische Einschätzung machen, falls tatsächlich nur die pauschale
Erhöhung des Anteilssatzes beschlossen werden sollte:
Streitschrift -
These:
„Tarifparteien
versagen auf der ganzen Linie - Den Kleinen nimmt man, den Großen
gibt man mehr"
Begründung:
1.)
Die
Erhöhung des jährlichen Anteilssatzes bewirkt nur bei den
Rentenfernen einen Rentenzuschlag, deren Startgutschrift nach dem
Formelbetrag gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG berechnet wird (alle
Verheirateten und alleinstehende Höherverdiener mit deutlich über
4.000 Euro in 2001).
2.)
Sie
erhöht die Startgutschrift nicht, falls sich diese nach
Mindestleistungen (§ 18 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG oder § 36 Abs. 3 VBLS
n.F.) berechnet, die deutlich unter dem Formelbetrag nach § 18 Abs.
2 Nr. 1 BetrAVG liegen (alleinstehende Normal- und Höherverdiener
bis etwa 4.000 Euro in 2001).
3.)
ökonomisches Fazit aus 1. und 2.:
Die minimale Korrektur (Anteilssatz 2,5 statt 2,25
Prozent) führt zu einer maximalen Schlechterstellung
der alleinstehenden Normal- und Höherverdiener gegenüber den
verheirateten Spitzenverdienern (innerhalb der Gruppe der
Rentenfernen) und gegenüber den Arbeitnehmern in der privaten
Wirtschaft.
4.)
soziales Fazit aus 1. 2. und 3.:
Das ökonomische Prinzip der Leistungsgerechtigkeit in den
Alterssicherungssystemen (u.a. gesetzliche Rente, Betriebsrente in
der Privatwirtschaft) verwandelt sich bei den
Startgutschrift-Berechnungen für Rentenferne in ein *anti-soziales
Prinzip* der extremen Ungerechtigkeit nach dem Motto "Verlierer
bleiben, Gewinner werden zusätzlich belohnt" bzw. "Den Kleinen nimmt
man, den Großen gibt man mehr" ("Kleine" steht hier für
alleinstehende Normal- und Höherverdiener, "Große" für verheiratete
Spitzenverdiener).
5.)
ethisch-moralisches Fazit aus 1 bis 4:
Ein solches anti-soziales Prinzip (siehe 4.) ist mit dem Sozialstaat
und dem System der sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar. Es ist
daher auch aus ethisch-moralischen Gründen verwerflich. Das
Verhalten der Tarifparteien bei einer solchen Neuregelung der
Startgutschriften wäre zutiefst unsozial und unmoralisch.
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