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am 25.09.2024 auf der Homepage eingestellt:

am 21.02.2024 auf der Homepage eingestellt:

 

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am 02.11.2023 auf der Homepage eingestellt:

am 18.10.2023 auf der Homepage eingestellt:

  • Urteil BGH IV ZR 120/22  (Grundsatzurteil vom 20.09.2023 zu den Zuschlagsklagen)                          (Link)                                                               

am 21..09.2023 auf der Homepage eingestellt:

 

Presseinfos zum für die Kläger ablehnenden Startgutschrifturteil des BGH:

 

 


Vorwort

 

Rentenfalle Startgutschrift? Was sich wie ein Widerspruch anhört, ist leider für viele Betroffene bittere Wahrheit. Das Wort „Startgutschrift“ ist ein einziger Etikettenschwindel. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um weitestgehend festgeschriebene Rentenanwartschaften zum 31.12.2001.

 

Diese Rentenanwartschaften erhöhen sich praktisch nicht, da die versprochenen Bonuspunkte in der Vergangenheit minimal waren und seit 2012 völlig ausbleiben. Von einer Dynamisierung der Startgutschriften kann angesichts dieser mageren Ausbeute keine Rede sein. Viel schlimmer sind die finanziellen Folgen für Rentenferne ab Jahrgang 1947, denen die Mindestversorgungsrente von 0,4 Prozent des monatlichen Entgelts in 2001 pro Pflichtversicherungsjahr beharrlich verweigert wird. Besondere Härtefälle liegen bei Rentenfernen wie Rentennahen (bis Jahrgang 1946) vor, die zum 31.12.2001 verwitwet oder geschieden waren, aber inzwischen längst wieder verheiratet sind und zum Rentenbeginn höchstwahrscheinlich auch verheiratet sein werden oder bereits sind. Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hat dazu inzwischen eine spezielle Härtefallrechtsprechung entwickelt. Danach kann sich die Zusatzversorgungskasse (z.B. VBL) nicht auf die Berechnung der Startgutschriften zum 31.12.2001 berufen, wenn der ehemalige Rentennahe (bis Jahrgang 1946) in Rente gegangen ist und nachweist, dass seine Zusatzrente um mindestens 30 Prozent hinter der Zusatzrente eines am 31.12.2001 Verheirateten zurückbleibt und er unter Einschluss des Stichtags 31.12.2001 höchstens drei Jahre unverheiratet (also vorher bereits verheiratet und nachher wieder verheiratet) war. Sofern beide Bedingungen erfüllt sind und die Zusatzversorgungskasse dennoch eine Gleichstellung mit einem am 31.12.2001 Verheirateten verweigert, liegt laut OLG Karlsruhe ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB vor. Da inzwischen auch die ersten ehemaligen Rentenfernen (ab Jahrgang 1947) in Rente sind, entscheidet das OLG Karlsruhe demnächst, ob seine bisherige Härtefallrechtsprechung auch für diese Gruppe gilt.

 

Mit der vorliegenden Homepage wollen wir Sie Stück für Stück in die komplizierten und höchst ungerechten Regelungen über die sog. Startgutschriften einführen. Zunächst erläutern wir die Rentenfalle, in die viele Betroffene ohne eigene Schuld getappt sind. Offene Briefe, die so den Entscheidungsträgern (Tarifparteien, Bundes- und Länderministerien usw.) zugesandt wurden, finden Sie danach.

 

Unsere Standpunkte zu den bisherigen Startgutschrift-Regelungen sind in einem weiteren Abschnitt dargelegt. Die Dossiers „Rentenabsurdistan“ und „Im Stich gelassen von Verdi“ hat Friedmar Fischer als einer der zahlreichen Kläger vor Landgerichten, Oberlandesgerichten und Bundesgerichtshof verfasst. Das Dossier „Der lange Arm der VBL“ stammt von Werner Siepe, Fachautor, jedoch selbst nicht von der Rentenfalle Startgutschrift betroffen.

 

Schließlich finden sich auf dieser Homepage Hinweise auf  im Internet veröffentlichte Essays und Studien, an denen wir beteiligt sind. Unsere nunmehr achtjährige, hervorragende Zusammenarbeit wird hoffentlich auch künftig noch Früchte tragen. Dies wünschen wir allen von der Rentenfalle betroffenen rentenfernen und -nahen Pflichtversicherten.

 

Meine nun bereits 12 Jahre lang andauernde Beschäftigung mit dem Thema Startgutschrift (als Betroffener) und die vor acht Jahren begonnene hervorragende Zusammenarbeit mit anderen Betroffenen und dem Fachautor Werner Siepe (als nicht Betroffener) hat zu einer losen Arbeitsgemeinschaft geführt (der „Startgutschriften-ARGE“) und mich bewogen, einige Aktivitäten an einer Stelle zusammenzutragen und hier zu veröffentlichen.

 

Der Veröffentlichungszeitpunkt war nicht ganz zufällig gewählt:

 

Am 13.11.2001 (also vor nunmehr über 13 Jahren) verständigten sich die Tarifparteien im Altersvorsorgetarifvertrag auf einen Rahmen für die Neuordnung der Zusatzversorgung des Öffentlichen Dienstes.

 

Am 14.11.2007 (also vor mehr als 7 Jahren) erklärte der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Festlegung der bisher erfolgten Startgutschriften gemäß der neuen Satzung der Zusatzversorgung wegen Verstoßes gegen Rechtsgrundsätze für unverbindlich und forderte die Tarifparteien auf, die Satzung der Zusatzversorgung zu überarbeiten. Dies haben sie am 30.5.2011 durch eine Neuregelung der sog. rentenfernen Startgutschriften versucht, dabei sind ihnen allerdings schwere Systemfehler unterlaufen. Laut Urteil des OLG Karlsruhe (Az. 12 U 104/14 vom 18.12.2014) (siehe Urteilstext und ausführliche Erläuterungen dazu am 30.12.2014) ist somit auch diese Neuregelung unverbindlich. Daher wird erneut der BGH entscheiden müssen.

 

Ohne viele fruchtbaren Diskussionen und den Austausch von Argumenten, Dokumenten wäre Vieles im Dunkel und Dickicht der Regelungen der Zusatzversorgung des Öffentlichen Dienstes geblieben.

 

Mein besonderer Dank gilt den Mitstreitern Jürgen Bühr, Siegfried Ecklebe, Dieter Grüner, Dr. Frank Horsch, Gerhard Wohner und dem Fachautor Werner Siepe.

 

Friedmar Fischer

Wiernsheim, 14.11.2008 (aktualisiert am 06.01.2015)

 

 

Die Irrtümer von BGH, VBL und Tarifparteien

Den Kleinen nimmt man, den Großen gibt man noch mehr

 

 

Das Modell der betrieblichen Altersversorgung für die Arbeitnehmer im Öffentlichen Dienst war bis Ende 2001 ein sogenanntes Gesamtversorgungssystem, in dem die Höhe der betrieblichen Versorgungsrente abhängig war von der Höhe der gesetzlichen Rente. Die Betriebsrente war umso höher, je niedriger die gesetzliche Rente festgelegt wurde (und umgekehrt). Die nicht beamteten Beschäftigten im Öffentlichen Dienst sollten,  der ursprünglichen Idee von 1967 folgend, versorgungstechnisch so behandelt werden, als ob sie Beamtin/Beamter gewesen wären. Die Höhe der Versorgungs- bzw. Zusatzrente wurde gebildet aus der Differenz zwischen der persönlichen Gesamtversorgung und der gesetzlichen Rente (der sogenannten Grundversorgung). Dieses hochkomplexe alte Gesamtversorgungssystem wurde Ende 2001 aus inhaltlichen und verfassungsrechtlichen Gründen geschlossen. Seit dem 01.01.2002 gilt die neue Betriebsrente des Öffentlichen Dienstes nach dem Punktemodell.

 

Für den Übergang vom alten ins neue System sind dazu Übergangsregelungen geschaffen worden. Dabei wird unterschieden zwischen rentenfernen (geboren ab 1947) und rentennahen Jahrgängen (geboren bis einschließlich 1946). Der Übergang ins neue System ist den Grundsätzen der bisherigen Gesamtversorgung nachgebildet (siehe z.B. H. Lassner, „Startgutschrift: Der Übergang ins neue System“, Der Personalrat 12/2003, Seite 484 - 494).

 

Gegen diese Übergangsregelungen (also die „Startgutschriften“ als Rentenanwartschaften zum 31.12.2001) haben Tausende von Betroffenen Einspruch eingelegt. Einige hundert Personen haben vor den Zivilgerichten geklagt, bis schließlich die angegriffenen Übergangsregelungen vom obersten Zivilgericht der Bundesrepublik, dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe,  am 14.11.2007 in einem Pilotverfahren BGH-Urteil vom 14.11.2007 (BGH Az. IV ZR 74/06) wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz laut Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz zumindest für die rentenfernen Jahrgänge gekippt und damit für unverbindlich erklärt wurden.   

Gegen ein vergleichbares BGH-Urteil wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt (Az. 1 BvR 1373/08). Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde im Juli 2008 angenommen und den zuständigen Stellen  (u.a. Bundeskanzleramt, Bundesjustizministerium, Länderregierungen, Tarifparteien) zur schriftlichen Stellungnahme bis zum 15.9.2008 übersandt. Die Stellungnahmen von Bundesministerium des Innern (BMI), Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts (BAG), Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL), Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba) und Arbeitsgemeinschaft kommunale und kirchliche Altersversorgung (AKA) liegen uns im Wortlaut vor. Sie belegen, dass keine zuständige Stelle, die eine Stellungnahme abgegeben hat, weitere Verfassungsverstöße sieht, die über den vom BGH am 14.11.2007 monierten kleinen Verstoß hinausgehen.

 

Zur Klarstellung einiger klassischer großer Rentenirrtümer und -vorurteile

 

1. Irrtum: Nicht-beamtete Beschäftigte im öffentlichen Dienst sind im Alter finanziell ebenso gut versorgt wie Beamte.

 

Richtig: Beamte bekommen nach 40 Dienstjahren eine Pension in Höhe von rund 71,75 % des letzten Bruttogehalts. Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst erhalten nach 40 Pflichtversicherungsjahren aber nur eine gesetzliche Rente von höchstens 40 % *)  des letzten Bruttogehalts sowie eine Zusatzrente von maximal 16 %, dies sind zusammen also 56 % des letzten Bruttogehalts und wesentlich weniger als die Pension eines Beamten.

 

*) Bei 40 Beitragsjahren wird die gesetzliche Rente eines Durchschnittsverdieners mit aktuell monatlich knapp 2.900 € und einem aktuellen Rentenwert von 28,61 € wie folgt ermittelt:

 

 28,61 x 40 x 100/2.850 = 40,15 %, abgerundet auf 40 %. Diese 40 % des letzten Bruttogehalts kommen auch bei geringeren oder höheren Verdiensten heraus. Ausnahme: Bei Verdiensten oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung sinkt diese sog. Bruttorentenquote weiter. Das sog. Bruttorentenniveau von aktuell 45 % bezieht sich nur auf den Eck- bzw. Standardrentner mit 45 Beitragsjahren und Durchschnittsverdienst, also: 28,61 x 45 x 100/2.850 = 45,18 %. 

 

2. Irrtum: Die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst sind überversorgt, da die beiden Nettorenten (gesetzliche Rente und Zusatzrente) zusammen über dem letzten Nettogehalt liegen.

 

Richtig: Eine Überversorgung war nur bis Ende 1984 möglich. Damals bekamen die Arbeitnehmer bis zu 75 % ihres Bruttogehalts als gesetzliche Rente und Zusatzrente. Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge sowie Steuern fielen bis Ende 1982 nicht an. Wenn das Nettogehalt unter diesem Satz von 75 % des Bruttogehalts lag, konnten die Nettorenten zusammen tatsächlich darüber liegen. Spätestens ab 1985 ist das völlig unmöglich.

 

3. Irrtum: Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst bekommen nach 40 Pflichtversicherungsjahren 91,75 % ihres letzten Nettogehalts als Gesamtrente, also gesetzliche Rente plus Zusatzrente.

 

Richtig: Das war nur bis Ende 2001 möglich. Bei vielen geistert dieser Satz immer noch in den Köpfen herum. Tatsächlich liegen die Nettobeträge von gesetzlicher Rente und Zusatzrente heute deutlich unter 80 % des letzten Nettogehalts. Verdi-Chef Frank Bsirske nennt immer noch einen Satz von 90 %, den es so nie gab und in Zukunft auch nie geben wird.

 

4. Irrtum: Die Zusatzrente für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst ist höher als die Betriebsrente für Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft. Für diese Zusatzrente kommt allein der Staat auf.

 

Richtig:  Nach der im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) und der Deutschen Rentenversicherung (DRV) erstellten AVID-Studie 2005 lag die Zusatzrente im Durchschnitt bei 400 Euro brutto und damit 13 Prozent unter der durchschnittlichen Betriebsrente von 455 Euro. Bei den Jahrgängen 1947-1951 sinkt die Zusatzrente gegenüber den Jahrgängen 1942-1946 noch einmal drastisch um 25 % auf nur noch rund 300 Euro brutto. An der Finanzierung der Zusatzrente beteiligen sich die Arbeitnehmer mit eigenen Beiträgen von 1,25 %  (1.1.1999 bis 31.12.2001) bzw. 1,41 % des Bruttogehalts ab 1.1.2002.

 

5. Irrtum: Für die Rentenanwartschaften per 31.12.2001 gibt es einen Besitzstands- bzw. Vertrauensschutz. Es geht also nichts verloren.

 

Richtig: Die Rentenanwartschaften sinken insbes. für alleinstehende Rentenferne (ab Jahrgang 1947) drastisch. Die früheren Mindestversorgungsrenten werden teilweise halbiert. Vor allem den alleinstehenden Normalverdienern geht sehr viel an Zusatzrente verloren. Es gilt der Grundsatz: „Den Kleinen nimmt man, den Großen gibt man“.

 

 

Die Geschichte der Zusatzversorgung für den öffentlichen Dienst ist zumindest bis Ende 2001 eine Geschichte von Missverständnissen, Halbwahrheiten und großen Irrtümern. Kein anderes Alterssicherungssystem war so kompliziert, unsystematisch, undurchsichtig und ungerecht. Erst das ab 2002 geltende neue Punktemodell ist beitrags- und leistungsgerecht. Da aber die meist viel zu niedrigen Rentenanwartschaften zum 31.12.2001 (sog. Startgutschriften) festgeschrieben und in das neue Punktemodell transferiert wurden, tappen viele Arbeitnehmer des Öffentlichen Dienstes in eine von Gesetzgeber, Tarifparteien, Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) aufgestellte und vom Bundesgerichtshof (BGH) weitgehendst abgesegnete Rentenfalle. Der große Irrtum über eine faire Höhe der Rentenanwartschaften bleibt auf Seiten der Entscheidungsträger bis heute bestehen. Von dem fatalen Irrtum sind fast 5 Millionen rentenferne Pflichtversicherte (ab Jahrgang 1947) unmittelbar betroffen. Dies wird im Folgenden belegt.

 

1. Fatale Irrtümer und mögliches Versagen der Entscheidungsträger

 

Der BGH wimmelt die Kernkritik (siehe Drei Offene Briefe zur Garantierente, zum Rentenzuschlag in besonderen Härtefällen und zur Dynamisierung der Startgutschriften) mit fadenscheinigen juristischen Argumenten ab.  Angeblich sei die frühere Garantierente (sog. Mindestversorgungsrente) laut BVerfG-Urteil vom 15.7.1998 (Az. 1 BvR 1554/89) weggefallen, was aber der Urteilsbegründung so gar nicht entnommen werden kann. Wegen des Festschreibungseffekts bzw. der sog. Veränderungssperre könne es nur auf den Familienstand am Bewertungsstichtag 31.12.2001 ankommen. Eine Dynamisierung der Startgutschriften sei bereits über die Bonuspunkte gegeben, was angesichts eines extrem mageren Plus von bisher insgesamt nur 1,5 % der Startgutschrift zum 31.12.2001 nicht nachvollziehbar ist. Die Behauptungen des BGH sind nicht plausibel und erweisen sich aus Sicht der Betroffenen als folgenschwerer Irrtum.

 

Statt sich der Kernkritik in über 200 Revisionsverfahren zu stellen, bemängelt der BGH nur den zu niedrigen Anteilssatz von 2,25 % p.a. und schlägt den Tarifparteien eine Überprüfung der Näherungsrente vor. Dies sind jedoch nur eher unbedeutende Randpunkte. Der BGH übersieht zudem völlig, dass eine Erhöhung des Anteilssatzes und eine evtl. Überprüfung der Näherungsrente  den  alleinstehenden Normalverdienern als Hauptverlierern der Startgutschrift nicht einen Cent mehr einbringt.

Ganz offensichtlich haben sich die Richter am BGH bei ihrer minimalen Randkritik von einer vorsorglichen Stellungnahme des Bundesarbeitsgerichts vom 14.4.2003 zum neuen § 18 Betriebsrentengesetz leiten lassen, ohne dies im BGH-Urteil ausdrücklich zu vermerken. In dieser Stellungnahme des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts unter Vorsitz von Dr. Gerhard Reinecke zu einer Verfassungsbeschwerde 1 BvR 1700/02 heißt es unverblümt auf Seite 9: „Der gewählte Prozentsatz erscheint dem Dritten Senat verfassungsrechtlich bedenklich“. Auf Seite 11 dieser vorsorglichen Stellungnahme steht schon verklausuliert, wie die Erhöhung des jährlichen Anteilssatzes durch die Tarifparteien oder den Gesetzgeber zu erfolgen hat: Weniger problematisch erscheint es, dass der Gesetzgeber auf den Durchschnittswert abstellt, den die betriebstreuen Arbeitnehmer aufweisen, die den Höchstversorgungssatz erreichen. Auch in diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass sich nach dem neu gefassten § 18 Abs. 1 Nr. 1 die Vollleistung generell nach dem höchstmöglichen Versorgungssatz bestimmt. Der bei der maßgebenden Personengruppe zu verzeichnende Durchschnitt der Pflichtversicherungsjahre lässt sich allerdings den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen“.

Es ist ein aber ein Irrtum zu glauben, eine bloße Erhöhung des jährlichen Anteilssatzes von 2,25 auf beispielsweise 2,5 Prozent würde zu einer höheren Startgutschrift führen. Richtig ist vielmehr: Mindestens ein Fünftel der Rentenfernen (alleinstehende Normal- und Höherverdiener mit Einkommen bis zu 4.000 Euro) hat nichts von einer Erhöhung des Anteilssatzes, da deren bisherige Startgutschrift deutlich unter dem Formelbetrag nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG (Gesetz zur Regelung der betrieblieblichen Altersversorgung) liegt (siehe Studie „Rentenkürzungen bei der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst“  und Essay „Irrwege des BGH“). Steigt der Anteilssatz beispielsweise von 2,25 auf 2,5 Prozent, steigt zwar der Formelbetrag um 11,1 Prozent. Bei jedem fünften Rentenfernen wirkt sich der erhöhte Formelbetrag aber gar nicht auf die bisherige Startgutschrift aus, die in ihren Fällen nach der sog. Mindestrente gem. § 18 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG bzw. der sog. Mindeststartgutschrift gem. § 37 Abs. 3 VBLS n.F. bestimmt wird.

 

Norbert Wein, Leiter der Abteilung Recht und Grundsatz in der VBL, favorisiert in einem Aufsatz die Erhöhung des Anteilssatzes und lehnt die anderen Vorschläge des BGH als problematisch ab (siehe „Die Rechtsprechung des BGH zu den Startgutschriften“, in: Betriebliche Altersversorgung 5/2008, Seite 455). Wein meint: Dieser Weg hätte den Vorteil, dass die Berechnungsformel im Übrigen weitgehend unberührt gelassen werden könnte. Begünstigen würde dieser Weg auch die rentenfernen Versicherten ohne längere Ausbildungszeiten, deren Startgutschriften nach § 18 BetrAVG berechnet wurde, also auch diejenigen, die von dem gerügten Verfassungsverstoß an sich gar nicht betroffen sind“.

 

Herr Wein vergisst zu erwähnen, dass gerade die alleinstehenden Normal- und Höherverdiener mit einem Einkommen bis 4.000 Euro werden nicht begünstigt werden, da deren Startgutschrift gar nicht vom Formelbetrag nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG abgeleitet wird.

 

Matthias Konrad, Referent für Satzungsfragen bei der VBL, schießt ins gleiche Horn mit seinem Plädoyer für die Erhöhung des Anteilssatzes (siehe „Reform der Zusatzversorgung – Ende des Streits um die Startgutschriften in Sicht?“, in: Zeitschrift für Tarif- und Arbeitsrecht des öffentlichen Dienstes, ZTR, 6/2008, Seite 302): Auf diesem Weg könnte man den festgestellten Systembruch bei der Höhe des Versorgungssatzes beseitigen. Ob dies über eine generelle Änderung des Versorgungssatzes geschehen könnte oder auch differenziertere Lösungen denkbar wären, um zu einer sachgerechten und verfassungsgemäßen Neuregelung zu kommen, steht zur Prüfung der Tarifvertragsparteien“. Konrad schließt nicht aus, dass Rentenferne dabei in die Röhre schauen: „Der BGH-Entscheidung kann jedenfalls nicht entnommen werden, dass alle rentenfernen Versicherten eine höhere Startgutschrift erhalten müssten“ (ebenda).

 

Schon im Jahr 2001 hat es die VBL geschafft, Einfluss auf die Entscheidungen der Tarifparteien zu nehmen und dabei den Fallenstellerparagrafen 18 des Betriebsrentengesetzes als Berechnungsgrundlage für die Startgutschriften bei den Rentenfernen zu empfehlen. Eine Expertengruppe der Tarifparteien wird vom OLG Karlsruhe mit deren untereinander abgestimmten Stellungnahme vom Juli 2001 zitiert:

 

„Aus den von den Gewerkschaften im Jahre 2001 während der laufenden Tarifverhandlungen erstellten Papieren ist zu entnehmen, dass dem Besitzstandsschutz rentenferner Pflichtversicherter keine gesteigerte Bedeutung zugemessen wurde. Das Augenmerk lag lediglich darauf, dass „der Vertrauensschutz für die Versorgungsrentner / - innen und die rentennahen Jahrgänge sichergestellt ist“. Im Arbeitspapier der gemeinsamen Expertengruppe wurde im Hinblick auf den Besitzstandsschutz Rentenferner ohne nähere Überprüfung schlicht der „Hinweis“ der Beklagten (hier ist die VBL gemeint)  zugrunde gelegt, „dies erfolge über eine Wertberechnung entsprechend BetrAVG“, wobei – entsprechend dem von der Beklagten nachdrücklich vertretenen Rechtsstandpunkt – nicht zweifelhaft ist, dass hiermit die für den öffentlichen Dienst geltende Regelung des § 18 Abs. 2 BetrAVG gemeint war. Lediglich für rentennahe Jahrgänge wurde eine „besondere Schutzwürdigkeit angenommen“.  (siehe Urteil des OLG Karlsruhe vom 24.11.2005, Az. 12 U 102/04, Seite 66).

 

Die betroffenen Rentenfernen haben nach der völlig verkorksten Neuregelung der rentenfernen Startgutschriften vom 30.5.2011 eine erneute Klagewelle eingeläutet, die Herr Konrad von der VBL im Übrigen schon richtig vorausgesagt hatte: Auch eine Neuregelung der Übergangsregelungen für die rentenfernen Jahrgänge wird wiederum gerichtlich überprüft werden und den Instanzenweg durchlaufen“ (siehe wie oben in: ZTR 6/2008, Seite 303). Fürwahr tolle Aussichten für die betroffenen Rentenfernen, die sich dann erneut mit den Irrtümern der Tarifparteien auseinandersetzen und dann noch jahrelang  prozessieren müssten. Auf diese Weise entwickeln sich die Startgutschriften der Jahrgänge ab 1947 zu einer unendlichen Geschichte.

 

2. Wachsende Schlechterstellung und Ungleichbehandlung

 

Die These „Den Kleinen nimmt man, den Großen gibt man noch mehr“ hat sich leider durch die von den Tarifparteien beschlossene Neuregelung der rentenfernen Startgutschriften noch erhärtet.

 

Die jetzt schon bestehende Schlechterstellung der bisherigen Verlierer (alleinstehende Normal- und Höherverdiener) gegenüber den Gewinnern (verheiratete Spitzenverdiener) wird noch größer, die „Intra-Differenz“ innerhalb der Gruppe der Rentenfernen wächst weiter.

 

Gegenüber den Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft mit Rentenanwartschaften nach § 2 BetrAVG beim Ausscheiden aus dem Betrieb bleibt die Ungleichbehandlung weiter bestehen. Die hohe „Inter-Differenz“ zwischen den Beschäftigten im öffentlichen Dienst (hier alleinstehende Normal- und Höherverdiener) und den Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft bleibt also gleich und wird nicht um einen Cent abgebaut.

 

Fazit: Wachsende Schlechterstellung innerhalb der Rentenfernen und weiter bestehende Ungleichbehandlung gegenüber den Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft würden gleichsam von den Tarifparteien sanktioniert!

 

3. Fehlende Rentengerechtigkeit und wachsende Gerechtigkeitslücke

 

In keinem anderen Alterssicherungssystem besteht eine solche Rentenungerechtigkeit wie bei den Startgutschriften. Die Schere zwischen Verlierern und Gewinnern der Startgutschrift öffnet sich immer mehr, die Gerechtigkeitslücke nimmt zu. Die Neuregelung der rentenfernen Startgutschriften führt zu einer maximalen Schlechterstellung und Ungleichbehandlung der alleinstehenden Normal- und Höherverdiener gegenüber den verheirateten Spitzenverdienern unter den Rentenfernen und gegenüber den Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft.

 

Mit dem Sozialstaat und der Wirtschaftsordnung der sozialen Marktwirtschaft ist eine derartige extreme Rentenungerechtigkeit unvereinbar.

 

Letztlich bestehen  auch erhebliche ethisch-moralische Bedenken gegen eine solche soziale Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Eine Entscheidung gegen die berechtigten Interessen der betroffenen rentenfernen Versicherten wäre unsozial und unmoralisch. Von einer aus „Versehen“ getroffenen Entscheidung der Tarifparteien zugunsten einer bloßen pauschalen Erhöhung des Anteilssatzes könnte auch keine Rede sein, da den Tarifparteien die fatalen Konsequenzen einer solchen Entscheidung spätestens seit Übersendung der Studie „Rentenkürzungen in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes“ im April 2008 bekannt sind.

 

Den massiv betroffenen Rentenfernen bleibt die Hoffnung, dass es zu einer solchen Entscheidung letztlich gar nicht kommt. Um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen und den Rechtsfrieden zu wahren, sollten die Tarifparteien eine faire, sachgerechte und verfassungsgemäße Neuregelung der Startgutschriften für Rentenferne beschließen, die diesen Namen auch wirklich verdient.

 

Eine dritte Nachbesserung ist den betroffenen Rentenfernen nach dem Urteil des OLG Karlsruhe (Az. 12 U 104/14) vom 18.12.2014 nicht zumutbar.

 

 



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