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Presseinfos zum für die Kläger ablehnenden Startgutschrifturteil
des BGH:
Vorwort
Rentenfalle
Startgutschrift? Was sich wie ein Widerspruch anhört, ist leider für
viele Betroffene bittere Wahrheit. Das Wort „Startgutschrift“ ist
ein einziger Etikettenschwindel. In Wirklichkeit handelt es sich
dabei um weitestgehend festgeschriebene Rentenanwartschaften zum
31.12.2001.
Diese Rentenanwartschaften erhöhen sich praktisch nicht, da
die versprochenen Bonuspunkte
in der Vergangenheit minimal waren
und seit 2012 völlig ausbleiben.
Von
einer Dynamisierung der Startgutschriften kann angesichts dieser
mageren Ausbeute keine Rede sein. Viel schlimmer sind
die finanziellen Folgen für Rentenferne ab Jahrgang 1947, denen die
Mindestversorgungsrente von 0,4 Prozent des monatlichen Entgelts in
2001 pro Pflichtversicherungsjahr beharrlich verweigert
wird. Besondere Härtefälle liegen bei Rentenfernen wie Rentennahen
(bis Jahrgang 1946) vor, die zum 31.12.2001 verwitwet oder
geschieden waren, aber inzwischen längst wieder verheiratet sind und
zum Rentenbeginn höchstwahrscheinlich auch verheiratet sein werden
oder bereits sind. Das
Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hat dazu inzwischen eine spezielle
Härtefallrechtsprechung entwickelt. Danach kann sich die
Zusatzversorgungskasse (z.B. VBL) nicht auf die Berechnung der
Startgutschriften zum 31.12.2001 berufen, wenn der ehemalige Rentennahe
(bis Jahrgang 1946) in Rente gegangen ist und nachweist, dass seine
Zusatzrente um mindestens 30 Prozent hinter der Zusatzrente eines am
31.12.2001 Verheirateten zurückbleibt und er unter Einschluss des
Stichtags 31.12.2001 höchstens drei Jahre unverheiratet (also vorher
bereits verheiratet und nachher wieder verheiratet) war. Sofern
beide Bedingungen erfüllt sind und die Zusatzversorgungskasse
dennoch eine Gleichstellung mit einem am 31.12.2001 Verheirateten
verweigert, liegt laut OLG Karlsruhe ein Verstoß gegen den Grundsatz
von Treu und Glauben nach § 242 BGB vor. Da inzwischen auch die
ersten ehemaligen Rentenfernen (ab Jahrgang 1947) in Rente
sind, entscheidet das OLG Karlsruhe demnächst, ob seine bisherige
Härtefallrechtsprechung auch für diese Gruppe gilt.
Mit der
vorliegenden Homepage wollen wir Sie Stück für Stück in die
komplizierten und höchst ungerechten Regelungen über die sog.
Startgutschriften einführen. Zunächst erläutern wir die Rentenfalle,
in die viele Betroffene ohne eigene Schuld getappt sind. Offene
Briefe, die so den Entscheidungsträgern (Tarifparteien, Bundes- und
Länderministerien usw.) zugesandt wurden, finden Sie danach.
Unsere
Standpunkte zu den bisherigen Startgutschrift-Regelungen sind in
einem weiteren Abschnitt dargelegt. Die Dossiers „Rentenabsurdistan“
und „Im Stich gelassen von Verdi“ hat Friedmar Fischer als einer der
zahlreichen Kläger vor Landgerichten, Oberlandesgerichten und
Bundesgerichtshof verfasst. Das Dossier „Der lange Arm der VBL“
stammt von Werner Siepe, Fachautor, jedoch selbst nicht von der
Rentenfalle Startgutschrift betroffen.
Schließlich finden sich auf dieser Homepage Hinweise auf
im Internet veröffentlichte Essays und Studien, an denen wir
beteiligt sind. Unsere
nunmehr achtjährige,
hervorragende Zusammenarbeit wird hoffentlich
auch künftig noch Früchte tragen. Dies wünschen wir
allen von der Rentenfalle betroffenen rentenfernen und -nahen
Pflichtversicherten.
Meine
nun bereits 12 Jahre
lang andauernde Beschäftigung mit dem Thema Startgutschrift (als
Betroffener) und die vor
acht Jahren begonnene
hervorragende Zusammenarbeit mit anderen Betroffenen und dem
Fachautor Werner Siepe (als nicht Betroffener) hat zu einer losen
Arbeitsgemeinschaft geführt (der „Startgutschriften-ARGE“) und mich
bewogen, einige Aktivitäten an einer Stelle zusammenzutragen und
hier zu veröffentlichen.
Der Veröffentlichungszeitpunkt
war
nicht ganz zufällig gewählt:
Am 13.11.2001 (also vor
nunmehr über 13 Jahren) verständigten sich die
Tarifparteien im Altersvorsorgetarifvertrag auf einen Rahmen für die
Neuordnung der Zusatzversorgung des Öffentlichen Dienstes.
Am 14.11.2007 (also vor
mehr als 7 Jahren) erklärte der IV. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs die Festlegung der bisher erfolgten
Startgutschriften gemäß der neuen Satzung der Zusatzversorgung wegen
Verstoßes gegen Rechtsgrundsätze für unverbindlich und forderte die
Tarifparteien auf, die Satzung der Zusatzversorgung zu überarbeiten.
Dies haben sie am 30.5.2011 durch eine Neuregelung der sog.
rentenfernen Startgutschriften versucht, dabei sind ihnen allerdings
schwere Systemfehler unterlaufen. Laut Urteil des OLG Karlsruhe (Az. 12
U 104/14 vom 18.12.2014) (siehe Urteilstext und ausführliche
Erläuterungen dazu am 30.12.2014) ist somit auch diese Neuregelung
unverbindlich. Daher wird erneut der BGH entscheiden müssen.
Ohne viele fruchtbaren Diskussionen und den Austausch von
Argumenten, Dokumenten wäre Vieles im Dunkel und Dickicht der
Regelungen der Zusatzversorgung des Öffentlichen Dienstes geblieben.
Mein besonderer Dank gilt den Mitstreitern Jürgen Bühr,
Siegfried Ecklebe, Dieter Grüner, Dr. Frank Horsch, Gerhard Wohner
und dem Fachautor Werner Siepe.
Friedmar
Fischer
Wiernsheim,
14.11.2008
(aktualisiert am 06.01.2015)
Den Kleinen nimmt
man, den Großen gibt man noch mehr
Das Modell der
betrieblichen Altersversorgung für die Arbeitnehmer im Öffentlichen
Dienst war bis Ende 2001 ein sogenanntes Gesamtversorgungssystem,
in dem die Höhe der betrieblichen Versorgungsrente abhängig war von
der Höhe der gesetzlichen Rente. Die Betriebsrente war umso höher,
je niedriger die gesetzliche Rente festgelegt wurde (und umgekehrt).
Die nicht beamteten Beschäftigten im Öffentlichen Dienst sollten,
der ursprünglichen Idee von 1967 folgend, versorgungstechnisch so
behandelt werden, als ob sie Beamtin/Beamter gewesen wären. Die Höhe
der Versorgungs- bzw. Zusatzrente wurde gebildet aus der Differenz
zwischen der persönlichen Gesamtversorgung und der
gesetzlichen Rente (der sogenannten Grundversorgung). Dieses
hochkomplexe alte Gesamtversorgungssystem wurde Ende 2001 aus
inhaltlichen und verfassungsrechtlichen Gründen geschlossen. Seit
dem 01.01.2002 gilt die neue Betriebsrente des Öffentlichen Dienstes
nach dem Punktemodell.
Für den Übergang
vom alten ins neue System sind dazu Übergangsregelungen geschaffen
worden. Dabei wird unterschieden zwischen rentenfernen
(geboren ab 1947) und rentennahen Jahrgängen (geboren bis
einschließlich 1946). Der Übergang ins neue System ist den
Grundsätzen der bisherigen Gesamtversorgung nachgebildet (siehe z.B.
H. Lassner, „Startgutschrift: Der Übergang ins neue System“, Der
Personalrat 12/2003, Seite 484 - 494).
Gegen diese
Übergangsregelungen (also die „Startgutschriften“ als
Rentenanwartschaften zum 31.12.2001) haben Tausende von Betroffenen
Einspruch eingelegt. Einige hundert Personen haben vor den
Zivilgerichten geklagt, bis schließlich die angegriffenen
Übergangsregelungen vom obersten Zivilgericht der Bundesrepublik,
dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe, am 14.11.2007 in
einem Pilotverfahren
BGH-Urteil vom 14.11.2007 (BGH Az. IV ZR 74/06) wegen eines
Verstoßes gegen den Gleichheitssatz laut Artikel 3 Abs. 1
Grundgesetz zumindest für die rentenfernen Jahrgänge gekippt und
damit für unverbindlich erklärt wurden.
Gegen ein vergleichbares BGH-Urteil wurde
Verfassungsbeschwerde eingelegt (Az. 1 BvR 1373/08). Das
Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde im Juli 2008
angenommen und den zuständigen Stellen (u.a. Bundeskanzleramt,
Bundesjustizministerium, Länderregierungen, Tarifparteien) zur
schriftlichen Stellungnahme bis zum 15.9.2008 übersandt. Die
Stellungnahmen von Bundesministerium des Innern (BMI), Präsidentin
des Bundesarbeitsgerichts (BAG), Versorgungsanstalt des Bundes und
der Länder (VBL), Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL),
Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), Vereinigte
Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Arbeitsgemeinschaft für
betriebliche Altersversorgung (aba) und Arbeitsgemeinschaft
kommunale und kirchliche Altersversorgung (AKA) liegen uns im
Wortlaut vor. Sie belegen, dass keine zuständige Stelle, die eine
Stellungnahme abgegeben hat, weitere Verfassungsverstöße sieht, die
über den vom BGH am 14.11.2007 monierten kleinen Verstoß
hinausgehen.
Zur Klarstellung
einiger klassischer großer Rentenirrtümer und -vorurteile
1. Irrtum: Nicht-beamtete Beschäftigte im öffentlichen Dienst sind im Alter
finanziell ebenso gut versorgt wie Beamte.
Richtig: Beamte bekommen nach 40 Dienstjahren eine Pension in Höhe von rund 71,75
% des letzten Bruttogehalts. Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst
erhalten nach 40 Pflichtversicherungsjahren aber nur eine
gesetzliche Rente von höchstens 40 % *) des letzten
Bruttogehalts sowie eine Zusatzrente von maximal 16 %, dies sind
zusammen also 56 % des letzten Bruttogehalts und wesentlich
weniger als die Pension eines Beamten.
*)
Bei 40
Beitragsjahren wird die gesetzliche Rente eines
Durchschnittsverdieners mit aktuell monatlich knapp 2.900 €
und einem aktuellen Rentenwert von 28,61 € wie folgt
ermittelt:
28,61
x 40 x 100/2.850 = 40,15 %, abgerundet auf 40 %.
Diese 40 % des letzten Bruttogehalts kommen auch bei geringeren
oder höheren Verdiensten heraus. Ausnahme: Bei Verdiensten
oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen
Rentenversicherung sinkt diese sog. Bruttorentenquote weiter.
Das sog. Bruttorentenniveau von aktuell 45 % bezieht sich nur
auf den Eck- bzw. Standardrentner mit 45 Beitragsjahren und
Durchschnittsverdienst, also: 28,61 x 45 x 100/2.850 = 45,18 %.
2. Irrtum:
Die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst sind überversorgt, da
die beiden Nettorenten (gesetzliche Rente und Zusatzrente)
zusammen über dem letzten Nettogehalt liegen.
Richtig: Eine Überversorgung war nur bis Ende 1984 möglich. Damals bekamen die
Arbeitnehmer bis zu 75 % ihres Bruttogehalts als gesetzliche
Rente und Zusatzrente. Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge
sowie Steuern fielen bis Ende 1982 nicht an. Wenn das
Nettogehalt unter diesem Satz von 75 % des Bruttogehalts lag,
konnten die Nettorenten zusammen tatsächlich darüber liegen.
Spätestens ab 1985 ist das völlig unmöglich.
3. Irrtum:
Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst bekommen nach 40
Pflichtversicherungsjahren 91,75 % ihres letzten Nettogehalts
als Gesamtrente, also gesetzliche Rente plus Zusatzrente.
Richtig:
Das war nur bis Ende 2001 möglich. Bei vielen geistert dieser
Satz immer noch in den Köpfen herum. Tatsächlich liegen die
Nettobeträge von gesetzlicher Rente und Zusatzrente heute
deutlich unter 80 % des letzten Nettogehalts. Verdi-Chef Frank
Bsirske nennt immer noch einen Satz von 90 %, den es so nie gab
und in Zukunft auch nie geben wird.
4. Irrtum: Die Zusatzrente für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst ist höher als
die Betriebsrente für Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft. Für
diese Zusatzrente kommt allein der Staat auf.
Richtig:
Nach der im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales (BMAS) und der Deutschen Rentenversicherung (DRV)
erstellten
AVID-Studie 2005 lag die Zusatzrente im Durchschnitt bei 400
Euro brutto und damit 13 Prozent unter der durchschnittlichen
Betriebsrente von 455 Euro. Bei den Jahrgängen 1947-1951 sinkt
die Zusatzrente gegenüber den Jahrgängen 1942-1946 noch einmal
drastisch um 25 % auf nur noch rund 300 Euro brutto. An der
Finanzierung der Zusatzrente beteiligen sich die Arbeitnehmer
mit eigenen Beiträgen von 1,25 % (1.1.1999 bis 31.12.2001)
bzw. 1,41 % des Bruttogehalts ab 1.1.2002.
5. Irrtum:
Für die Rentenanwartschaften per 31.12.2001 gibt es einen
Besitzstands- bzw. Vertrauensschutz. Es geht also nichts
verloren.
Richtig:
Die Rentenanwartschaften sinken insbes. für alleinstehende
Rentenferne (ab Jahrgang 1947) drastisch. Die früheren
Mindestversorgungsrenten werden teilweise halbiert. Vor allem den
alleinstehenden Normalverdienern geht sehr viel an Zusatzrente
verloren. Es gilt der Grundsatz: „Den Kleinen nimmt man, den
Großen gibt man“.
Die Geschichte der Zusatzversorgung für den öffentlichen
Dienst ist zumindest bis Ende 2001 eine Geschichte von
Missverständnissen, Halbwahrheiten und großen Irrtümern. Kein
anderes Alterssicherungssystem war so kompliziert, unsystematisch,
undurchsichtig und ungerecht. Erst das ab 2002 geltende neue
Punktemodell ist beitrags- und leistungsgerecht. Da aber die meist
viel zu niedrigen Rentenanwartschaften zum 31.12.2001 (sog.
Startgutschriften) festgeschrieben und in das neue Punktemodell
transferiert wurden, tappen viele Arbeitnehmer des Öffentlichen
Dienstes in eine von Gesetzgeber, Tarifparteien, Versorgungsanstalt
des Bundes und der Länder (VBL) aufgestellte und vom
Bundesgerichtshof (BGH) weitgehendst abgesegnete Rentenfalle. Der
große Irrtum über eine faire Höhe der Rentenanwartschaften bleibt
auf Seiten der Entscheidungsträger bis heute bestehen. Von dem
fatalen Irrtum sind fast 5 Millionen rentenferne
Pflichtversicherte (ab Jahrgang 1947) unmittelbar betroffen. Dies
wird im Folgenden belegt.
1. Fatale
Irrtümer und mögliches Versagen der Entscheidungsträger
Der BGH wimmelt
die Kernkritik (siehe
Drei Offene Briefe zur Garantierente, zum Rentenzuschlag in
besonderen Härtefällen und zur Dynamisierung der Startgutschriften)
mit fadenscheinigen juristischen Argumenten ab. Angeblich sei
die frühere Garantierente (sog. Mindestversorgungsrente) laut
BVerfG-Urteil vom 15.7.1998 (Az. 1 BvR 1554/89) weggefallen, was
aber der Urteilsbegründung so gar nicht entnommen werden kann. Wegen
des Festschreibungseffekts bzw. der sog. Veränderungssperre könne es
nur auf den Familienstand am Bewertungsstichtag 31.12.2001 ankommen.
Eine
Dynamisierung der Startgutschriften sei bereits über die Bonuspunkte
gegeben, was angesichts eines extrem mageren Plus
von bisher insgesamt nur 1,5 % der Startgutschrift zum 31.12.2001
nicht nachvollziehbar ist. Die Behauptungen des BGH
sind nicht plausibel und erweisen sich aus Sicht der Betroffenen als
folgenschwerer Irrtum.
Statt sich der
Kernkritik in über 200 Revisionsverfahren zu stellen, bemängelt der
BGH nur den zu niedrigen Anteilssatz von 2,25 % p.a. und
schlägt den Tarifparteien eine Überprüfung der Näherungsrente vor.
Dies sind jedoch nur eher unbedeutende Randpunkte. Der BGH
übersieht zudem völlig, dass eine Erhöhung des Anteilssatzes und
eine evtl. Überprüfung der Näherungsrente den
alleinstehenden Normalverdienern als Hauptverlierern der
Startgutschrift nicht einen Cent mehr einbringt.
Ganz
offensichtlich haben sich die Richter am BGH bei ihrer minimalen
Randkritik von einer vorsorglichen Stellungnahme des
Bundesarbeitsgerichts vom 14.4.2003 zum neuen § 18
Betriebsrentengesetz leiten lassen, ohne dies im BGH-Urteil
ausdrücklich zu vermerken. In dieser Stellungnahme des Dritten
Senats des Bundesarbeitsgerichts unter Vorsitz von Dr. Gerhard
Reinecke zu einer Verfassungsbeschwerde 1 BvR 1700/02 heißt es
unverblümt auf Seite 9: „Der gewählte Prozentsatz erscheint
dem Dritten Senat verfassungsrechtlich bedenklich“. Auf
Seite 11 dieser vorsorglichen Stellungnahme steht schon
verklausuliert, wie die Erhöhung des jährlichen Anteilssatzes durch
die Tarifparteien oder den Gesetzgeber zu erfolgen hat: „Weniger
problematisch erscheint es, dass der Gesetzgeber auf den
Durchschnittswert abstellt, den die betriebstreuen Arbeitnehmer
aufweisen, die den Höchstversorgungssatz erreichen. Auch in diesem
Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass sich nach dem neu
gefassten § 18 Abs. 1 Nr. 1 die Vollleistung generell nach dem
höchstmöglichen Versorgungssatz bestimmt. Der bei der maßgebenden
Personengruppe zu verzeichnende Durchschnitt der
Pflichtversicherungsjahre lässt sich allerdings den
Gesetzesmaterialien nicht entnehmen“.
Es ist ein aber
ein Irrtum zu glauben, eine bloße Erhöhung des jährlichen
Anteilssatzes von 2,25 auf beispielsweise 2,5 Prozent würde zu
einer höheren Startgutschrift führen. Richtig ist vielmehr:
Mindestens ein Fünftel der Rentenfernen (alleinstehende Normal- und
Höherverdiener mit Einkommen bis zu 4.000 Euro) hat nichts von einer
Erhöhung des Anteilssatzes, da deren bisherige Startgutschrift
deutlich unter dem Formelbetrag nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG (Gesetz zur
Regelung der betrieblieblichen Altersversorgung) liegt (siehe
Studie „Rentenkürzungen bei der Zusatzversorgung im öffentlichen
Dienst“ und
Essay „Irrwege des BGH“). Steigt der Anteilssatz beispielsweise
von 2,25 auf 2,5 Prozent, steigt zwar der Formelbetrag um 11,1
Prozent. Bei jedem fünften Rentenfernen wirkt sich der erhöhte
Formelbetrag aber gar nicht auf die bisherige Startgutschrift aus,
die in ihren Fällen nach der sog. Mindestrente gem. § 18 Abs. 2 Nr.
4 BetrAVG bzw. der sog. Mindeststartgutschrift gem. § 37 Abs. 3 VBLS
n.F. bestimmt wird.
Norbert Wein,
Leiter der Abteilung Recht und Grundsatz in der VBL, favorisiert in
einem Aufsatz die Erhöhung des Anteilssatzes und lehnt die anderen
Vorschläge des BGH als problematisch ab (siehe
„Die Rechtsprechung des BGH zu den Startgutschriften“, in:
Betriebliche Altersversorgung 5/2008, Seite 455). Wein meint: „Dieser
Weg hätte den Vorteil, dass die Berechnungsformel im Übrigen
weitgehend unberührt gelassen werden könnte. Begünstigen würde
dieser Weg auch die rentenfernen Versicherten ohne längere
Ausbildungszeiten, deren Startgutschriften nach § 18 BetrAVG
berechnet wurde, also auch diejenigen, die von dem gerügten
Verfassungsverstoß an sich gar nicht betroffen sind“.
Herr Wein
vergisst zu erwähnen, dass gerade die alleinstehenden Normal- und
Höherverdiener mit einem Einkommen bis 4.000 Euro werden nicht
begünstigt werden, da deren Startgutschrift gar nicht vom
Formelbetrag nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG abgeleitet wird.
Matthias Konrad,
Referent für Satzungsfragen bei der VBL, schießt ins gleiche Horn
mit seinem Plädoyer für die Erhöhung des Anteilssatzes (siehe
„Reform der Zusatzversorgung – Ende des Streits um die
Startgutschriften in Sicht?“, in: Zeitschrift für Tarif- und
Arbeitsrecht des öffentlichen Dienstes, ZTR, 6/2008, Seite 302):
„Auf diesem Weg könnte man den festgestellten Systembruch bei der
Höhe des Versorgungssatzes beseitigen. Ob dies über eine generelle
Änderung des Versorgungssatzes geschehen könnte oder auch
differenziertere Lösungen denkbar wären, um zu einer sachgerechten
und verfassungsgemäßen Neuregelung zu kommen, steht zur Prüfung der
Tarifvertragsparteien“. Konrad schließt nicht aus,
dass Rentenferne dabei in die Röhre schauen: „Der
BGH-Entscheidung kann jedenfalls nicht entnommen werden, dass alle
rentenfernen Versicherten eine höhere Startgutschrift erhalten
müssten“ (ebenda).
Schon im Jahr 2001 hat es die VBL geschafft, Einfluss auf
die Entscheidungen der Tarifparteien zu nehmen und dabei den
Fallenstellerparagrafen 18 des Betriebsrentengesetzes als
Berechnungsgrundlage für die Startgutschriften bei den Rentenfernen
zu empfehlen. Eine Expertengruppe der Tarifparteien wird vom OLG
Karlsruhe mit deren untereinander abgestimmten Stellungnahme vom
Juli 2001 zitiert:
„Aus den von den Gewerkschaften im Jahre 2001 während der
laufenden Tarifverhandlungen erstellten Papieren ist zu entnehmen,
dass dem Besitzstandsschutz rentenferner Pflichtversicherter keine
gesteigerte Bedeutung zugemessen wurde. Das Augenmerk lag lediglich
darauf, dass „der Vertrauensschutz für die Versorgungsrentner / -
innen und die rentennahen Jahrgänge sichergestellt ist“. Im
Arbeitspapier der gemeinsamen Expertengruppe wurde im Hinblick auf
den Besitzstandsschutz Rentenferner ohne nähere Überprüfung schlicht
der „Hinweis“ der Beklagten (hier
ist die VBL gemeint) zugrunde gelegt, „dies erfolge über eine
Wertberechnung entsprechend BetrAVG“, wobei – entsprechend dem von
der Beklagten nachdrücklich vertretenen Rechtsstandpunkt – nicht
zweifelhaft ist, dass hiermit die für den öffentlichen Dienst
geltende Regelung des § 18 Abs. 2 BetrAVG gemeint war. Lediglich für
rentennahe Jahrgänge wurde eine „besondere Schutzwürdigkeit
angenommen“. (siehe
Urteil des OLG Karlsruhe vom 24.11.2005, Az. 12 U 102/04, Seite
66).
Die betroffenen
Rentenfernen
haben nach der völlig verkorksten
Neuregelung der rentenfernen Startgutschriften vom 30.5.2011
eine erneute Klagewelle
eingeläutet, die Herr
Konrad von der VBL im Übrigen schon
richtig vorausgesagt hatte: „Auch eine Neuregelung
der Übergangsregelungen für die rentenfernen Jahrgänge wird wiederum
gerichtlich überprüft werden und den Instanzenweg durchlaufen“
(siehe wie oben in:
ZTR 6/2008, Seite 303). Fürwahr tolle Aussichten für die
betroffenen Rentenfernen, die sich dann erneut mit den Irrtümern der
Tarifparteien auseinandersetzen und dann noch jahrelang prozessieren
müssten.
Auf diese Weise entwickeln sich
die Startgutschriften der Jahrgänge ab 1947 zu einer unendlichen
Geschichte.
2. Wachsende
Schlechterstellung und Ungleichbehandlung
Die
These „Den
Kleinen nimmt man, den Großen gibt man noch mehr“
hat
sich leider durch die von den Tarifparteien beschlossene Neuregelung
der rentenfernen Startgutschriften noch erhärtet.
Die jetzt schon
bestehende Schlechterstellung der bisherigen Verlierer
(alleinstehende Normal- und Höherverdiener) gegenüber den Gewinnern
(verheiratete Spitzenverdiener) wird noch größer, die „Intra-Differenz“
innerhalb der Gruppe der Rentenfernen wächst weiter.
Gegenüber den
Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft mit Rentenanwartschaften nach
§ 2 BetrAVG beim Ausscheiden aus dem Betrieb bleibt die
Ungleichbehandlung weiter bestehen. Die hohe „Inter-Differenz“
zwischen den Beschäftigten im öffentlichen Dienst (hier
alleinstehende Normal- und Höherverdiener) und den Arbeitnehmern in
der Privatwirtschaft bleibt also gleich und wird nicht um einen Cent
abgebaut.
Fazit:
Wachsende Schlechterstellung innerhalb der Rentenfernen und weiter
bestehende Ungleichbehandlung gegenüber den Arbeitnehmern in der
Privatwirtschaft würden gleichsam von den Tarifparteien
sanktioniert!
3. Fehlende
Rentengerechtigkeit und wachsende Gerechtigkeitslücke
In keinem anderen
Alterssicherungssystem besteht eine solche Rentenungerechtigkeit
wie bei den Startgutschriften. Die Schere zwischen Verlierern und
Gewinnern der Startgutschrift öffnet sich immer mehr, die
Gerechtigkeitslücke nimmt zu.
Die
Neuregelung der rentenfernen Startgutschriften führt zu einer maximalen Schlechterstellung und
Ungleichbehandlung der alleinstehenden Normal- und
Höherverdiener gegenüber den verheirateten Spitzenverdienern unter
den Rentenfernen und gegenüber den Arbeitnehmern in der
Privatwirtschaft.
Mit dem
Sozialstaat und der Wirtschaftsordnung der sozialen
Marktwirtschaft ist eine derartige extreme Rentenungerechtigkeit
unvereinbar.
Letztlich
bestehen auch erhebliche ethisch-moralische Bedenken
gegen eine solche soziale Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Eine
Entscheidung gegen die berechtigten Interessen der betroffenen
rentenfernen Versicherten wäre unsozial und unmoralisch. Von einer
aus „Versehen“ getroffenen Entscheidung der
Tarifparteien zugunsten einer bloßen
pauschalen Erhöhung des Anteilssatzes könnte auch keine Rede sein,
da den Tarifparteien die fatalen Konsequenzen einer solchen
Entscheidung spätestens seit Übersendung der Studie „Rentenkürzungen
in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes“ im April 2008
bekannt sind.
Den massiv
betroffenen Rentenfernen bleibt die Hoffnung, dass es zu einer
solchen Entscheidung letztlich gar nicht kommt. Um für mehr
Gerechtigkeit zu sorgen und den Rechtsfrieden zu wahren, sollten die
Tarifparteien eine faire, sachgerechte und verfassungsgemäße
Neuregelung der Startgutschriften für Rentenferne beschließen, die
diesen Namen auch wirklich verdient.
Eine dritte
Nachbesserung ist den betroffenen Rentenfernen nach dem Urteil des
OLG Karlsruhe (Az. 12 U 104/14) vom
18.12.2014 nicht zumutbar.
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